Die langhaarige Südtirolerin stellt sich vor
Jahrhundertelang
prägten zottelige Ziegen das Bild in den Südtiroler Dolomiten. Nun sind
sie weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Status: vom Aussterben
bedroht, extrem gefährdet! Der langhaarige Schlag der Passeirer
Gebirgsziege, „Zottelte“ wurde verdrängt durch die kurzhaarige
Variante, „Borschtige“. Warum? Weil kurzhaarige Tiere für den
Menschen praktischer sind. Das lange Deckhaar neigt zum Verfilzen,
stört beim Melken und verhindert, dass man den Körperbau auf einen
Blick beurteilen kann. Dabei hat das zottelige Fell – neben der
beeindruckenden Erscheinung - durchaus praktischen Nutzen. Es schützt
vor Regen, Schnee und Wind. Das Wetter schlägt im Gebirge oftmals
extreme Kapriolen und so sind die „Zottelten“ perfekt angepasst an die
klimatischen Verhältnisse ihrer Heimat. Hier schneit es oft bis in den
Mai hinein, es gibt lange Schlechtwetterperioden und der erste Schnee
fällt nicht selten schon im Spätsommer. Wer hier ein dichtes Fellkleid
trägt, ist klar im Vorteil. Ziegen sind bekannt dafür, extrem
wasserscheu zu sein. Sie bekommen nicht gern nasse Füße, noch weniger
schätzen sie „Wasser von oben“.
Über den Vorteil der Langhaarigkeit bei Ziegen scheiden sich allerdings
die Geister. Im Ursprungsland der Passeirer Gebirgsziege, in Südtirol,
wo man in jüngster Zeit verstärkt den kurzhaarigen Schlag favorisiert,
wird häufig das Argument angeführt, das lange Fell leite Wasser nicht
ab, sondern sauge es vielmehr auf und lasse die Tiere rasch
durchnässen. Außerdem müssten sie sich mit einem langen,
regenwasserschweren und schlecht trocknenden Pelz plagen.
Beobachtungen in unterschiedlichen Beweidungsprojekten mit Ziegen zeigen allerdings, dass langhaarige Exemplare deutlich weniger sensibel auf Feuchtigkeit reagieren als kurzhaarige. Interessanterweise treten in den unterschiedlichsten Regionen Europas langhaarige Ziegenschläge auf - stets in Landstrichen, die durch raues Klima geprägt sind: so etwa die Schraubenhörnige Bulgarische Lanhaarziege sowie die Walliser Schwarzhalsziege und langaarige Pfauenziegentypen in der Schweiz. Gerade in traditionellen Haltungen in Bulgarien setzt man nach wie vor auf die robusten Langhaarigen, weil sie unempfindlich gegen Nässe sind. Dort werden die Tiere immer noch überwiegend ganzjährig im Freien gehalten, oft völlig ohne Unterstand und nur geschützt durch dichtes Gestrüpp und Bäume. So war es lange Zeit auch in Südtirol, wo die „Zottelten“ bestens an das harte, niederschlagsreiche Klima, angepasst sind.
Befürworter des langhaarigen Typs betonen, dass das üppige Deckhaar Regenwasser abperlen lässt. Es dringt nicht bis auf die Unterwolle durch - ein ähnlicher Effekt wie bei einem Strohdach. Das „Fahrgestell“ der Ziegen bleibt weitgehend trocken, sie müssen sich nicht so häufig und lange im Trockenen unterstellen und ihre Weideaktivität unterbrechen, was sich positiv auf Milchleistung und Fleischansatz auswirkt.
Was in der Robusthaltung von Vorteil ist, spielt in der zunehmend
technisierten Landwirtschaft keine Rolle mehr. So sind die „Zottelten“
in ihrer angestammten Heimat, dem Passeirer-, Schnals-, Sarn- und
Wipptal, nur noch selten anzutreffen.